Eine offene Schnittstelle für das Wurzelwerk

Am vergangenen Wochenende trafen sich ca. 40 Menschen aus ganz Deutschland zu einem Thema, was auf dem Blick erst einmal eine rein technische Frage ist – die interne Plattform der Grünen, das Wurzelwerk. Auf dem zweiten Blick steckt aber viel mehr hinter – es ist die Frage, wie wir innerparteliche Demokratie mit all ihren Aspekten wie Informationsverteilung, Informationssammlung, Diskussion, Antragsentwicklung, Meinungsbildern, Transparenz, Veranstaltungsorganisation und so vielen mehr in Zeiten vom digitalen Wandel gestalten wollen. Es ist meiner Meinung nach eine Strukturfrage, die weit über das hinaus geht als irgendwelche Satzungsdetails. Es ist die Frage wie wir Basisdemokratie bei 60.000 und mehr Mitgliedern gestalten wollen.

Was wir haben und was definitiv geplant ist

Zur Zeit haben wir ein auf Liferay basierendes System, welches mehr schlecht als recht funktioniert – entgegen aller Durchhalteparolen sind einfach viel zu wenig Menschen online. Die Gründe sind vielfältig, und einige davon werden im Laufe des Jahres behoben – zum Beispiel ein Update auf die neue neue Liferay Version 6.1, mit der z.B. die Dateiverwaltung erheblich verbessert wird – oder auch eine komplett neue Oberfläche, bei der die vielen sehr grundlegenden Fehler in der Nutzerführung ausgemerzt werden.

Die Entwicklung ist super und ich möchte sie begleiten. Aber sie ist nicht alles, was wir als Grüne machen müssen. Denn das Wurzelwerk ist eine Insel im Internet. Eine einsame Insel, die hin und wieder von ein paar wenigen Schiffen = Nutzern angefahren wird. Und welche absolut statisch ist, es gibt keine Baungenehmigung auf der Insel. Es gibt ein mehr oder weniger prunkvollen Palast, der allen genügen soll. Friss oder stirb ist die Devise.

Wir brauchen mehr als nur ein riesiges Einkaufszentrum

Auf dem Workshop wurde noch ein weiterer Vergleich gezogen – während es früher abging wie in einer alten Innenstadt, bei der es viele kleine Geschäfte gab, die man einzeln besuchen musste (d.h. es gibt verschiedene Websites, die wenig miteinander zu tun haben) sei das Wurzelwerk nun das große Einkaufszentrum, der Prunkbau, bei dem man einfach alles bekommt. Viele der Teilnehmer mussten bei diesem sehr passenden Bild sehr schmunzeln, schliesslich sind grade wir Grüne normalerweise grade die, die auf Vielfalt im Städtebau achten, die keine großen Einkaufs-Burgen wollen und die die Kreativität der Kleinen schätzen und fördern. Und dass wir mit dem Wurzelwerk genau das Gegenteil wollen beinhaltet schon eine gewisse Ironie.

Wir? Nun – eigentlich eher nicht wir. Denn bei jeder Arbeitsgruppe kam dann doch irgendwie der Aspekt „Öffnung nach aussen“, „Integration anderer Dienste“, … usw vor. Zeitweise ging dies so weit, dass verschiedene unabhängig voneinander arbeitende Arbeitsgruppen nahezu identische Grafiken über die Art der Integration entstanden. Eine sehr technisch angehauchte Gruppe (in der ich mich befand) hat dies weiter aufgegriffen und technische Details entwickelt. Uns ging es darum, wie wir gleichzeitig das große Einkaufszentrum Wurzelwerk und die kreativen kleinen Läden = Projekte von Land, Kommunen oder anderen Kreativen ermöglichen können. Diese Ideen möchte ich hier vorstellen.

Vernetzung zwischen den Plattformen – ein gut getesteter Grundbestandteil des heutigen Webs

Die Idee ist nicht neu. Sie ist ein elementarer Bestandteil des heutigen Social Webs und der Grund, warum Giganten wie Facebook, Twitter oder Google so erfolgreich sind. Diese Giganten haben es verstanden, dass eine Insellösung nicht erfolgreich sein kann. Die Inselt sterben dagegen aus – StudiVZ z.B. hat diesen Trend viel zu spät begriffen und säuft grade in einer atemberaubenden Geschwindigkeit ab. Denn StudiVZ konnte man nicht integrieren in andere Systeme. Es war die ultimative Strafe für die fehlende Einbindung von kreativen Entwicklern mit neuen Ideen. Die Strategie „friss oder stirb“ funktioniert in der hochgradig an der Basis orientierten und gleichberechtigen Welt des Internets einfach nicht. Und sie ist auch nicht sehr nah an Grünen Idealen – „friss oder stirb“ funktioniert in unserer Partei denkbar schlecht. Glücklicherweise.

Doch was bedeutet das im Detail? Wie können wir fremde Ideen einbinden, ohne riesige Probleme mit dem Datenschutz zu bekommen? Das wäre schliesslich die Horrorvision – die Daten aller Grünen liegen frei im Netz. Desaster. Aber auch die Frage ist nicht neu, und die Konzepte dazu sind frei und kostenlos verfügbar – sogar bereits fertig programmiert für die Wurzelwerk-Software Liferay. Aber wie sieht so etwas eigentlich genau aus? Wie funktioniert das? Hierbei gibt es zwei Varianten, welche aufeinander aufbauen. Für beide Varianten möchte ich dies an einem Beispiel erklären.

Variante 1: Identitätsverifizierung

Die Programmiererin Elise hat in ihrer Freizeit eine tolle kleine Website geschrieben, mit der sie Grünen Mitgliedern es ermöglichen möchte Material zu teilen. Sie hat sich dafür einiges überlegt, sie möchte, dass man sich einloggen kann und dann schauen kann, welche Materialen in den Nachbar-Kreisverbänden vorhanden sind um tolle Aktionen zu planen. Sie möchte aber nicht noch ein Extra Login haben – es wäre doch viel schöner, wenn man dies gleich mit dem Wurzelwerk abhandeln könnte. Ausserdem wird es einfacher für Nutzer – schliesslich sind bei dem Nutzer auch Land und Kreisverband gespeichert. Also baut Elise den Identifikationsmechanismus des Wurzelwerkes ein.

Ein Login sieht dann so aus:

  • Der Nutzer klickt auf der Website „Material teilen leicht gemacht“ einloggen
  • Der Nutzer wird auf eine spezielle Wurzelwerkseite weitergeleitet.
  • Der Nutzer gibt dort seine Nutzerdaten ein
  • Der Nutzer bekommt die Frage gestellt, ob er der Applikation „Material teilen leicht gemacht“ Mailadresse und KV + OV bereitstellen möchte
  • Der Nutzer bestätigt dies
  • Der Nutzer wird auf die Website „Material teilen leicht gemacht“ zurückgeleitet und ist eingeloggt

Dies bedeutet dann:

  • Die Nutzerfreundlichkeit der Plattform ist maximal, die Software kann nahezu alles selbsttätigerledigen. Der Nutzer braucht nur noch Login und Passwort, dasselbe Login + Passwort, welches er bereits im Wurzelwerk verwendet
  • Die Website „Material teilen leicht gemacht bekommt das Passwort nicht zu sehen, d.h. der Account kann nicht von der Website (oder potentiellen Hackern der Seite) übernommen werden. Das Passwort bleibt auf der Wurzelwerk-Seite
  • Die Website „Material teilen leicht gemacht“ hat eine direkte Verifikation des Nutzers, es können sich also nicht irgendwelche Unbekannten einloggen und das System missbrauchen.
  • Die Website „Material teilen leicht gemacht“ bekommt nur und ausschliesslich Nutzerdaten der Nutzer, die sich explizit bei der Website anmelden. Das heisst, dass die Website nur die Daten zur Verfügung bekommt, wo der Besitzer explizit zugestimmt hat. Die Website hat also keinen Zugriff auf Nutzerdaten, die sich nicht bewusst für die Website entschieden haben.

Erweiterung / Variante 2: Ein Zugriff auf die Wurzelwerk-Funktionen:

Hierbei wird der Nutzer gefragt, ob die Website bestimmte Rechte im Wurzelwerk erhalten darf. Als Beispiel könnte man bei der Website „Material teilen leicht gemacht“ die Freunde zu der Seite einladen. Oder den Status einer Gruppe ändern und somit den aktuellen Stand des Materials auf die KV-Seiten in das Wurzelwerk bringen. Oder zum Beispiel ein Zusatzprogramm für ein Mailsystem entwickeln, was E-Mails spezifischer zusendet – eine beim Kreisgeschäftsführer eintrudelnde Mail zum Thema Energie wird dann nur an die Menschen weitergesendet, welche sich im Wurzelwerk für das Thema Energie eingetragen hat. Vollkommen automatisch – der Kreisgeschäftsführer müsste nur sagen „sende an alle im KV mit Interesse Energie“.

Auch dies ist datenschutzfreundlich umsetzbar, die Rechte müssen natürlich beschränkt werden, damit fremde Seiten nicht alles auslesen können. Diese Mechanismen sind aber ebenfalls vielfach erprobt, sie werden auf einer großen Vielzahl an Seiten bereits verwendet. Bislang ist nicht bekannt, dass auf diesem Wege Sicherheitslücken entstanden sind, die bisherigen Angriffe haben ganz andere Methoden verwendet, welche bereits heute im Wurzelwerk ebenfalls grundsätzlich möglich sind.

Vor- und Nachteile einer offenen Schnittstelle

Beide Wege haben riesige Vorteile:

  • Der Nutzer gewöhnt sich an das Wurzelwerk-Login – es ist das universelle Grüne Login auf allen Ebenen und in allen Projekten
  • Die Wunschliste für das Wurzelwerk ist unendich. Wir haben schlicht nicht die finanziellen Ressourcen all dies umzusetzen. Die Einbindung der Community kann hier helfen.
  • Neue Konzepte können erst einmal gefahrlos und extrem kostengünstig getestet werden, Features, die wirklich ankommen, können dann übernommen werden.
  • Wir stehen für offene Schnittstellen, für die Unterstützung freier Software und kreativer Entwickler. Dies können wir mit einer solchen Schnittstelle auch nicht nur von der Verwaltung fordern – sondern auch für uns selbst realisieren
  • Länder können spezifische Lösungen für regionale Probleme implementieren, um das Wurzelwerk so zu gestalten, wie es im Land am sinnvollsten ist

Nachteile gibt es aus meiner Sicht sehr wenige:

  • Wie bei Facebook auch kann man über Fake-Seiten (Phishing) versuchen Passwörter abzugreifen. Dies ist natürlich aber auch mit einer Phishing-Seite des Wurzelwerks selbst möglich, dies wäre also keine Veränderung zu früher.
  • Ggf. müsste die Bereitstellung einer solchen Schnittstelle von jedem Mitglied einzeln abgesegnet werden. Ich persönlich sehe das nicht so, da die Daten bereits als Schnittstelle dem Wurzelwerk zur Verfügung gestellt wurden und dort auch nicht gefragt wurde. Ansonsten könnte man dies auch über eine Zusatzbestätigung im Wurzelwerk machen.

Fazit

Wir brauchen eine moderne Arbeits- und Wissensplattform für uns Grüne, damit wir auch im 21. Jahrhundert gut arbeiten können. Dies können wir aber nicht mit einem einzigen Portal erreichen. Die heutigen Webtechologien ermöglichen eine nie dagewesene Beteiligung an ehrenamtlichen Programmierern, die mit besten Idenn aufwarten können. Lasst uns diesen Schatz heben!

Wir brauchen beide Systeme – das große Wurzelwerk zusammen und die kleinen kreativen, schnellen und innovativen Lösungen zusammen. Das eine wird nicht ohne das andere gehen. Und alles geht nicht ohne Geld. Aber mit einer offenen API sollte es auch im Interesse der Länder sein, das Wurzelwerk zu unterstützen.

Lasst uns Basisdemokratie in das 21. Jahrhundert bringen und so unsere Ideale auch bei weit mehr als 60.000 Nutzern umsetzen. Und lasst uns beginnen. Jetzt.

2 Antworten zu “Eine offene Schnittstelle für das Wurzelwerk”

  1. Diese Ansichten unterstütze ich vollständig.
    Ergänzen möchte ich imho zwingende Anforderungen zum Stichwort „Arbeitsplattform“. Dies ist auch nach meiner Auffassung eine Kernaufgabe einer zukünftigen Plattform.

    Diese muss u.a. folgendes leisten, wenn sie von Aktiven akzeptiert werden will:

    – Redundanz: Es sollte keine Mehrfach-Dokumentation für Aktive geben:
    Fraktions-SW, lokaler PC, verschiedene grüne Diskussionsplattformen, etc.)
    FraktionärInnen und AG-lerInnen können, wollen und sollen dies nicht leisten!

    – Das Wissen und die Arbeitsmaterialien der FraktionärInnen und AGlerInnen
    sollte so rechtzeitig eingestellt sein, dass eine PARTIZIPATION an NOCH
    ZU TREFFENDEN ENTSCHEIDUNGEN auf Basis dieser Infos möglich wird.

    – Bei jeder dort dokumentierten Entscheidung sollte das Material so aufbereitet
    sein, dass die Entscheidung für zugriffsberechtigte Dritte dort nachvoll-
    ziehbar ist (Aufbereitung: Am besten direkt bei Einstellung der Daten!!!)

    Diese Punkte erfordern ein sehr effizientes System der Dateneingabe (Gliederung der Fraktions-/AG-Arbeit, Freitext-Eingabe, Anlagen, Links, Zugriffsberechtigungen). Davon ist das derzeitige WW noch meilenweit entfernt.

  2. Für mich ein wichtiger Punkt: Deutlich vor der nächsten Bundestagswahl benötigen wir eine sichtbare Entwicklung des Wurzelwerks. Also kein langes Hinauszögern einer Lösung, weil es vielleicht noch etwas besseres gibt. Wichtige Bestandteile möglichst schnell umsetzen, weitere Features danach. Da geht natürlich nur, wenn sich die Aktiven und die Verantwortlichen schnell über eine roadmap einigen.
    Das beschriebene Treffen in Berlin hat uns dem Ziel offensichtlich einen guten Schritt voran gebracht. Danke und weiter so!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.