Antrag zur Grünen BDK 2011 in Kiel: Vom Wurzelwerk zur Blumenwiese: Internetgestützte Basisdemokratie weiterentwickeln!

Dieser Antrag wird initiiert durch die AG Datenschutz und Bürgerrechte auf der Grünen BDK BDK 2011 in Kiel besprochen werden:

Vom Wurzelwerk zur Blumenwiese:

Internetgestützte Basisdemokratie weiterentwickeln!

Wir möchten hier auf dieser BDK zur Gründung eines offenen und transparenten Expert*innen-Teams aufrufen, welches mit Unterstützung der Bundesgeschäftsstelle Konzepte für internetgestützte Basisdemokratie und Wissensmanagement entwickelt.

Basisdemokratie – eine Wurzel der Grünen

Vor vielen Jahren setzten sich die verschiedenen Graswurzelbewegungen für mehr Mitsprache bei diversen politischen Sachthemen ein. Jene Bewegungen entwickelten sich zu BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, wie wir sie heute kennen. Wir haben schon immer den Standpunkt vertreten, dass mehr Mitsprache sowohl im Inneren als auch im Äußeren wichtig ist. Parteiinterne Basisdemokratie gehört somit zu den Kernthemen, welche die Urgrünen ausgemacht haben und die uns heute immer noch stark prägen.

Unsere Wurzeln führen auch dazu, dass wir bis heute für mehr direkte Demokratie kämpfen. Doch dürfen wir nicht vergessen, dass Demokratie auch innerhalb unserer eigenen Partei eine wichtige Rolle spielen muss. In vielerlei Hinsicht haben wir uns den anderen Parteien im Bundestag angenähert, z.B. durch Landes- und Bundesdelegiertenkonferenzen.
Dies ist grundsätzlich auch nicht negativ zu beurteilen, da wir erkannt haben, dass man nur durch eine Reduzierung der Anzahl der Personen vor Ort wirklich sachlich und fair diskutieren und entscheiden kann. Dies darf jedoch nicht bedeuten, dass wir unsere basisdemokratischen Wurzeln vergessen. Das Wurzelwerk war in diesem Zusammenhang ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Das Wurzelwerk – der erste Aufschlag

Bündnis 90 / Die Grünen haben bereits früh erkannt, dass das Internet viele Möglichkeiten bietet, um innerparteiliche Demokratie zu stärken und gleichzeitig das Wissensmanagement innerhalb der Partei zu stützen und so eine einzigartige Informationsdatenbank zu schaffen. Ergebnis dieser Überlegungen war das im Jahr 2008 geplante Wurzelwerk, welches zur Bundestagswahl 2009 offiziell das Licht der Welt erblickte. Am Anfang noch mit erheblichen technischen Problemen behaftet, fanden sich schnell einzelne Akteur*innen aus dem gesamten Bundesgebiet, die das Wurzelwerk mit Verbesserungsvorschlägen und Anträgen wie dem auf der Rostocker BDK unterstützten.

Über Monate und Jahre hinweg testeten viele tausend Grüne die Plattform. Das interne Forum mauserte sich zu einem der erfolgreichsten Features. Die Landes- und Bundesgeschäftsstellen stellten dort Materialien für den Wahlkrampf zur Verfügung, auf die man zuvor keinen Zugriff hatte. Manche LAGen tauschen Dateien darüber aus, wieder andere nutzten das Wiki, um Texte zu entwickeln. In Teilbereichen war das Wurzelwerk so auch sehr erfolgreich. Die Bereitstellung von Materialien und die Diskussion von Programmen funktionierte, während die Arbeitsgemeinschaften, Gliederungen und viele Parteimitglieder selbst das Wurzelwerk größtenteils nicht aktiv nutzen.

Wurzeln alleine machen keine Pflanze aus

So erfolgreich das Wurzelwerk aber auch war, so sichtbar waren auch seine Grenzen. Viele Nutzer*innen scheiterten nicht an der Diskussion – sie scheiterten an der Technik. Und so zogen sich die über 11.000 angemeldeten Menschen recht schnell wieder aus dem Wurzelwerk zurück – zu kompliziert waren die Vorgänge, zu fremd die verwendeten Begriffe, zu langsam die Oberfläche. Dass das Wurzelwerk einige bemerkenswerte Verbesserungen in allen Bereichen bekommen hat, ist so nicht mehr durchgedrungen. Zu schlecht waren die anfangs gemachten Erfahrungen.

Manche erhofften sich eine Arbeitserleichterung durch eine derartige Plattform. Hofften, dass man sich dadurch weniger auf die Organisation und mehr auf Inhalte konzentrieren könne. Doch das Chaos der Mails, der verschiedenen Versionen der Anhänge, der fehlenden Mailadressen und der fehlenden Übersicht am Ende einer langen Maildiskussion wurde abgelöst durch fehlende Logindaten, durch unberechenbare und unzulängliche Software und durch inaktive Nutzer*innen.

Während das Wurzelwerk an sich Möglichkeiten bereitstellte, welche denen der üblichen Mails weit überlegen waren, hatte es aber noch ein Problem: Es kommunizierte zu wenig. Während eine Mail in das alltäglich abgerufene Postfach kam, verwaisten die im Wurzelwerk eingestellten Beiträge allzu schnell. Hier zeigte sich, wie wichtig es ist, nicht nur gute Werkzeuge bereitzustellen, sondern diese auch gut nach Außen zu vernetzen.

Auch gab es nur eine recht kleine Gruppe, die nennenswerte Vorteile aus dem Wurzelwerk ziehen konnte. Ein Großteil der Arbeit innerhalb der Partei läuft direkt am Wurzelwerk vorbei. Die meisten Arbeitsgemeinschaften organisieren sich weitestgehend über Mailinglisten – trotz ihrer offensichtlicher Nachteile. Auch Terminankündigungen werden meistens über externe Medien verbreitet, während die Gruppen im Wurzelwerk aufgrund der geringen Resonanz nicht weiter betrieben werden. Nur für den Wahlkampf war das Wurzelwerk eine Goldgrube – nirgendwo war die Diskussion und die Verteilung von Material einfacher als dort.

Mehr innerparteiliche Demokratie: Die Blumenwiese

Wir brauchen somit mehr als nur das bisherige Wurzelwerk. Wir brauchen ein universelles Werkzeug, welches uns bei der inhaltlichen Arbeit unterstützt. Wir brauchen Kommunikationsangebote, welche besser und angepasster sind als die jetzigen. Wir brauchen ein Informationsmanagement, mit dem wir schnell und leicht auf Fachwissen zugreifen können. Wir brauchen die Leichtigkeit und Offenheit einer Wiese voller Sommerblumen. Demokratie braucht nicht nur die Standfestigkeit der Wurzeln, sondern auch die Freiheit der Luft darüber. Kurz gesagt: Wir brauchen eine Blumenwiese.

Am Ende sollte die Blumenwiese die Werkzeuge bieten, die nötig sind, um Parteiarbeit im Internet barrierefrei zu ermöglichen. Sie sollte sich nahtlos an die Kommunikationswege angliedern, die wir heute schon verwenden, und so Teil unserer alltäglichen politischen Arbeit und Kommunikation werden. Sei es die Entwicklung eines Textes, das Einladen zu einer Veranstaltung, das Diskutieren eines Papers oder das Abstimmen von Positionen – bereits heute gibt es für nahezu alle Zwecke geeignete Software, die einem viel Arbeit abnehmen kann. Doch die Bedienung ist oftmals mühsam und manche Dinge muss man einfach wissen. Informationen bleiben dann auf der einen Plattform – egal, wie ungeeignet sie ist. Eine Blumenwiese muss aber genau diese Grenzen überwinden und sollte genau die Hilfsmittel und das Hintergrundwissen bereitstellen, die für die aktuelle Aufgabe benötigt werden.

Denn im Kern dreht es sich bei politischer Arbeit nur um wenige Grundfunktionen. Es geht um das Entwickeln von Positionen in Form von Texten und Dokumenten, um das Weiterleiten und Kommentieren von Informationen, um Termine und um Abstimmungen. Das Wurzelwerk hat uns wertvolle Erfahrungen gebracht, wie in einem abgeschlossenen System politische Arbeit funktionieren könnte – und wie nicht. Jetzt ist es an der Zeit, daraus zu lernen und die Erfahrung mit der bestehenden politischen Arbeit zu verbinden.

Das bedeutet, dass man Kreisgeschäftsführer*innen z.B. die Möglichkeit bietet, Informationen wie Termine an spezifische Gruppen weiterzuleiten – nicht einfach an alle. Dass man politisch Aktiven die Möglichkeit gibt, Informationen zu kommentieren – übersichtlich zusammengefasst und ohne, dass dies in einer Flut unübersichtlicher Mails ausartet. Dass man auf einer Online-Plattform gemeinsam einen Text entwickeln kann und zusätzliche Schreiber*innen mit einem einfachen Mausklick mit ins Boot bekommt. Dass man über Entscheidungen via Mail-Einladung z.B. an alle LAG Mitglieder oder parteiöffentlich ohne die Gefahr der Manipulation abstimmen lässt. Dass eine große Datenbank genau die Informationen bereitstellt, die man zum Thema benötigt.

Die Möglichkeiten der Demokratie und Arbeitserleichterungen sind endlos. Wir müssen sie nur angehen.

Was Blumen brauchen

Um die Blumenwiese wirklich zur Entfaltung zu bringen, braucht es einen mutigen ersten Schritt.Umbaumaßnahmen am „offenen Herzen“ des Wurzelwerkes sind dabei sicherlich der falsche Schritt. Denn das Wurzelwerk ist bereits ein funktionierendes System mit aktiven Nutzer*innen, die wir in ihrer Arbeit nicht behindern sollten, so dass am bestehenden System nur eine eher langsame Fortentwicklung möglich sein wird.

Nach der Fehlerbehebung in den vergangenen Monaten ist es nun an der Zeit, die einzelnen Instrumente des Wurzelwerkes selektiv zu verbessern und so die Arbeitsabläufe erheblich zu vereinfachen. Dies ist bereits von der Bundesgeschäftsstelle initiiert worden und wird Schritt für Schritt von dem IT-Dienstleistungsunternehmen umgesetzt. Wir fordern Euch daher auf: Schaut Euch das Wurzelwerk nach all der Zeit nochmals an!

Jedoch kann man mit dieser fließenden Weiterentwicklung keine grundlegenden Verbesserungen der Kommunikation erreichen. Deswegen möchten wir hier in Kiel zur Gründung eines offenen und transparenten Expert*innen-Teams aufrufen, welches weiter denkt, Konzepte für komplett neue Features entwickelt und diese testet. Dies würde idealerweise in einem von der Bundesgeschäftsstelle vorgeschlagenen „Design Thinking“-Beteiligungsprozess geschehen. Hierbei wird durch die Koordination des Prozesses die Effektivität gesteigert. Andererseits muss aber auch den Beteiligten die Freiheit gelassen werden, wirklich Neues zu denken und dies auch mit Grünen Ressourcen zu testen.

Die so geschaffene Expert*innengruppe soll nicht nur Details verändern, sondern Basisdemokratie und Wissensmanagement auf ein neues Level heben. Sie muss die Freiheit haben, weiter denken zu dürfen und so umfassende Konzepte zusammenzustellen. Die Wurzeln sollen zu einer Wiese werden. Fertige Konzepte werden zusammen mit der Bundesgeschäftsstelle auf Machbarkeit und Umsetzung überprüft, der Parteiöffentlichkeit vorgestellt und je nach Parteivotum und Finanzierbarkeit verworfen, erneut diskutiert oder umgesetzt.

Wir möchten ebenfalls dazu aufrufen, dass sich interessierte und experimentierfreudige Nutzer*innen bei dieser Expert*innengruppe melden und Konzepte aus Nutzer*innensicht analysieren. Hierzu wäre technisches Fachwissen eher hinderlich; um eine erfolgreiche Blumenwiese zu etablieren, brauchen wir die Sichtweise aller Nutzern*innen – auch von solchen, denen Computer eher fremd sind.

Neben personellem Engagement benötigt eine solche Arbeitsgruppe einige Ressourcen wie z.B. einen Server, Dokumentation über die Schnittstellen zur bestehenden Software der Partei oder auch die Einladung von externen Expert*innen. Dies wird finanziell kaum ins Gewicht fallen, stellt jedoch eine erhebliche Erleichterung für die Arbeit einer solchen Gruppe dar. Dies und die Weiterentwicklung des Wurzelwerkes sollte von der Partei solidarisch finanziert werden. Eine digitale Plattform für Basisdemokratie und Wissensmanagement ist eine wichtige Investition in die Zukunft unserer Partei, die allen Ebenen nutzen wird und so auch von allen Ebenen getragen werden sollte.

Das Internet bietet uns die Möglichkeit, unsere Ideale von Basisdemokratie und Beteiligung sowie das Einbinden des Fachwissens aller Mitglieder, auch in einer Partei mit deutlich mehr als 50.000 Mitgliedern zu entwickeln. Wir haben sowohl in der Basis als auch in der Bundesgeschäftsstelle die Voraussetzungen hierzu. Lasst uns diesen Weg weitergehen und zeigen, dass wir die Partei sind, die Partizipation für Alle ermöglicht – egal, ob man jung oder alt ist, egal, welche Qualifikationen man hat, egal, wie technikaffin man ist. Demokratie bedeutet, dass jede*r gehört werden kann. Dass jede*r mitmachen kann. In Zeiten vom Web 2.0 geht dies besser denn je. Grüne 2.0: Lasst uns Basisdemokratie leben!

Antragssteller*innen

Kreisverband Bochum, Ernesto Ruge (KV Bochum), Martin Petermann (KV Bochum), Ursula Dreier (KV Bochum), Johannes Rehborn (KV Münster), Karsten Finke (KV Bochum) und weitere

2 Antworten zu “Antrag zur Grünen BDK 2011 in Kiel: Vom Wurzelwerk zur Blumenwiese: Internetgestützte Basisdemokratie weiterentwickeln!”

  1. Die Analyse finde ich sehr treffend und entspricht genau meiner Erfahrung. Die technischen Schwächen haben sehr viele Nutzer abgeschreckt. Ich versuche immer wieder, Grüne für das Wurzelwerk zu motivieren, da ich finde, dass sehr viel Potenzial darin steckt.
    Die Bedienung muss sehr einfach mit wenigen Klicks und ohne Anleitung möglich sein, ähnlich wie bei Facebook oder in Teambox (www.teambox.com). Dann hat diese Tool eine Chance, dauerhaft akzeptiert und häufig genutzt zu werden.
    Eine Art internes Facebook für Diskussion, Archiv und Wissensmanagement hat meine Unterstützung.

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