Endlich war es soweit. Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag wurde im neuen Parlament ebenfalls ausgiebig und detailliert diskutiert.
Wie kam es dazu und warum war es nötig?
Nun, begonnen hat alles mit der Feststellung, dass der bestehende JMStV kaum eine reale Bedeutung hat. Bis auf eine Abmahnwelle unter deutschen Softpornoherstellern gab es nicht allzu große Resultate. Das ohnehin internationale Netz interessierte sich nicht dafür – und so strebten Jugendschützer eine Revision an. In einem längeren Entwicklungsprozess entstand die aktuell zur Ratifizierung freigebene Version. Auf diesem Wege wurde der JMStV bereits erheblich abgeschwächt und der Realität angepasst. Doch in wieweit ist der bestehende Vorschlag sinnvoll? Dies sollte die heute stattgefundene Anhörung zeigen.
Doch zuvor noch ein paar Worte zu der Politik in NRW. Wieso überhaupt diese Anhörung?
Obwohl Rüttgers zu diesem Zeitpunkt durch die Wahl keinerlei Unterstützung Seitens des Parlermentes mehr genoss, unterschrieb er den Gesetzesvorschlag im Juni 2010, scheinbar in der Hoffnung, dass das neue Parlament sich dem anschliessen würde. Nach weiten Protesten und einem erheblichen Informationsbedarf seitens der Abgeordneten schlugen Bündnis 90 / Die Grünen vor, eine zweite Anhörung zu diesem Thema zu machen, die SPD unterstützte diesen Vorschlag ebenfalls.
In der Phase der Vorbereitung gab es verschiedene Gespräche, wo vielen Delegierten überhaupt erst wirklich klar wurde, was für eine Tragweite der neue JMStV haben könnte. Hierbei seien vor allem die Fachgespräche seitens der Netzaktivisten und der Piraten zu nennen, jeweils mit einer Partei – SPD und Grüne. Aber auch die JuSos waren fleissig und haben einen Antrag auf ihrem NRW Parteitag verabschiedet, welcher ihre Abgeordneten dazu aufforderte, die Revision des JMStV abzulehnen. Für den Parteirat von Bündnis 90 / Die Grünen am 14.11.10 liegt ebenfalls ein Antrag vor, das Thema wird auch am 13. und 14.11. auf der Landesmitgliederversammlung der Grünen Jugend mit einem Antrag angesprochen werden.
Soweit zur Vorgeschichte. Heute sollten also die Grundlagen geschaffen werden, um letztlich doch eine Ratifikation auf eigenen Beinen durchführen zu können – auf Basis von Faktenwissen und nicht von parlamentarischen Pflichten. Und Faktenwissen gab es zu Hauf. Die Veranstaltung begann etwas verspätet, da die meisten MdLs bereits zuvor in einer medienpolitischen Sitzung waren. Neben den Experten und einigen MdLs waren Malte Spitz vom Bundesvorstand der Grünen, ein paar Grüne, ein paar Piraten und eine Gruppe JuSos vor Ort.
Prinzipiell lief die Veranstaltung so, dass die Abgeordneten Fragen gestellt haben, die dann erst in einer komplett durchlaufenden Runde und darauf folgend zielgerichtet von den einzelnen Experten beantwortet wurde. Hierbei kamen anfangs sehr allgemeine Fragen, bei denen generell eine sehr ablehnende Haltung dem JMStV gegenüber zu spüren war – selbst von der CDU kamen kritische Töne.
Breit gefächerte Meinungen der Experten
Die Expertenrunde war durch eine gewisse Blockhaftigkeit bestimmt, als erstes montierte Prof. Dr. Hannes Federrath den JMStV aus der technischen Hinsicht auseinander. Die technischen Mängel des JMStV sind nun weithin bekannt, so dass ich diese nicht einzeln aufführen möchte. Besonders interessant war hierbei aber die Aussage, dass Medienkompetenz und technischer Jugendschutz sich gegenseitig widersprechen, da eine Beschäftigung mit den neuen Medien und das Verstehen der dahinterliegenden Mechanismen zwangsläufig zu Kenntnis vom Umgehen von Sperrvorrichtungen mündet.
Darauf folgte ein großer Block der Befürworter (AJS, KJM, jugendschutz.net, FSM, LL.M), welcher in weiten Teilen sehr ähnlich argumentierte. Hierbei wurde in weiten Teilen auf technische Argumentation verzichtet, es wurde letzlich vor allem die Notwenigkeit unterstrichen dass irgendwas getan werden müsste. Insbesondere die Vertreterin der FSM haderte sehr mit der geplanten Filtersoftware, da es zur Zeit noch keine brauchbare Software gibt. Sie hielt es aber für unproblematisch, dass weite Teile des Netzes – insbesondere ausländische Seiten – dabei ausgeblendet werden, dies sei zugunsten des Jugendschutzes sinnvoll.
In vielfacher Weise vermischte insbesondere die Vertreterin des FSM auch ihre Tätigkeit als Jugendschützerin mit ihrer Funktion als Angestellte des Telekom-Konzerns. So bestanden Teile ihrer Beiträge darin, wie wunderbar die Telekom dies doch in den verschiedenen Endgeräten gelöst hätten. Dies war zeitgleich auch ihre Antwort auf das Problem, dass viele Endgeräte einfach keine Filtersoftware bekommen werden können – ein Fakt, der mehrfache ungläubige Nachfragen der Abgeordneten provozierte. Scheinbar ist vielfach noch nicht bekannt, dass mittlerweile auch Spielekonsolen, Handys, Fernseher und viele viele andere Geräte online gehen können – und dass die meisten davon internationale Produkte sind und nicht auf Microsoft Windows basieren. Die (ausschließliche) Erwähnung von Microsoft als Partner insbesondere im Zusammenhang mit „die produzieren doch auch Spielekonsolen“ wirkte dabei durchaus ein bisschen lächerlich – als würde das FSM weitere Monopolbildung unterstützen.
Die Verbände der Internetwirtschaft versuchten primär ihre Interessen zu schützen und Rechtssicherheit zu schaffen, wobei diese Rechtssicherheit scheinbar primär für Großkonzerne gedacht war. Prinzipiell waren sie für den JMStV, hatten in den Details aber durchaus Kritikpunkte. Die Gefahr einer Abmahnwelle wussten sie nicht so richtig einzuordnen (ausser „das geschah früher doch auch nicht“) – eine interessante Haltung für einen Verband, der Rechtssicherheit für Anbieter herstellen möchte. Auch kleine Anbieter wurden kaum berücksichtigt, Matthi Bolte musste mehrfach nachfragen bis er dahingehend eine Antwort erhielt. Es wurde eben mehr oder minder vorausgesetzt, dass man in einem Unternehmen eh bereits Vollzeit-Jugendschützer beschäftigt, was bei kleinen innovativen Startups nun die deutliche Minderheit sein sollte.
Als letztes kam der Block gegen den JMStV. Dieser bestand aus den beiden Rechtsanwälten, Heuking Kühn und Lüer Wojtek, welche sichtlich ihre Freude daran hatten, das JMStV aus rechtlicher Sicht auseinander zu montieren. Alvar Freude repräsentierte hierbei die Netzcommunity – und Heidrich i.V.v. Holger Bleich als Einziger seiner Art ganz direkt einen Betreiber einer größeren Webplattform – Heise online. Hier wurde der JMStV erwartungsgemäß in Teile zerlegt. Interessant war vor allem, dass der Vertragstext im Kommentar des Gesetzestextes widersprechende Regelungen enthält, was in den Augen der Rechtsanwälte ein nicht allzu gutes Bild abgibt. Auch in anderer Hinscht wurde Kritik geäußert, u. a. der äusserst unpräzise Anbieterbegriff.
Während Alvar die vom AK Zensur bekannten Thesen vortrug und versuchte, das Bild des einen Senders aus den Köpfen der Abgeordneten zu bekommen, war der Vertreter der c’t eine echte Bereicherung, da er als einziger ganz praktisch aus dem Alltag erzählen konnte. Auf die angesprochenen Probleme im Heise-Forum, dessen Moderation mehrere Kommentare pro Sekunde kontrollieren müsste, wussten die Befürworter auch nicht allzu viel zu antworten, nur die CDU wagte sich mit einer ziemlich unpassenden „Parallele“ zu Bierzelten nach vorne. Auch nutze Heidrich seine Erfahrung als Redakteur des c’t Magazines, um einen Test der bestehenden Jugendschutzprogramme zu präsentieren, der für die Filtersoftware desaströs ausgefallen war. Amüsant war auch die Abfrage Freudes, wie viele Abgeordnete denn bereits die Alterskennzeichnung auf ihrer eigenen Website vorgenommen hatten. Es war exakt niemand.
UPDATE: Aktivität der Parteien
Erwartungsgemäß waren die Delegierten der verschiedenen Parteien unterschiedlich aktiv. Allerdings hat mich die Verteilung durchaus ziemlich gewundert. Die Delegierten der CDU gaben ein sehr gemischtes Bild ab, neben sehr intelligenten und kritischen Nachfragen gesellten sich auch Bierzeltvergleiche, so dass es wirklich schwer war die Partei einzuschätzen. Scheinbar ist dort die neue Medienkompetenz allzu stark vom Abgeordneten abhängig, und es scheint nicht so, als würde die Partei nur aus Internetausdruckern bestehen – die Internetausdrucker scheinen nur bessere Meinungsmache zu betreiben.
Die SPD war in der Anhörung erstaunlich still, ich bin gespannt, was für Schlüsse sie angesichts so weniger Fragen aus der Veranstaltung ziehen. Und schliesslich war die SPD die Partei, die wohl am meisten zuvor die Anhörung für neue Informationen und eine Entscheidung über das Thema abgewartet haben.
Die Linke war nur mit einer Person vertreten, die aber äusserst kritische Nachfragen stellte, da sie selbst als Internet-Kleinunternehmer betroffen war. Somit gab es zeitweise eher Vorträge als Fragen, es wurden aber viele wichtige Kritikpunkte des JMStV angesprochen.
Von den Grünen gab es viele sehr detaillierte Nachfragen, Matthi Bolte war sichtlich in seinem Element. Insbesondere Fragen nach der Software brachten die Experten auch regelmäßig ins schleudern.
Die FDP dagegen war schlicht und ergreifend nicht inhaltlich existent. Sie war zwar mit einer Person vertreten, jedoch stellte diese keine einzige Frage. Ein wirklich eigenwilliges Verhalten für eine Partei, die sich Bürgerrechte auf die Fahne geschrieben hat.
Resultat: Wir brauchen eine neue Revision des JMStV – einen, der wirklich Verbesserungen bietet und keine Nebenwirkungen fördert
Im Laufe der Diskussion wurden die Befürworter immer mehr in die Enge getrieben, so dass am Ende primär die Argumentation „aber der alte JMStV hatte doch genauso unbrauchbare Regelungen – der neue verändert wenigstens irgendetwas!“ übrigblieb. Dies wäre unter normalen Umständen kein Grund für die Verabschiedung eines Gesetzes, es wäre eher ein Unterstreichen der Forderung, dass das Papier zwingend nochmal überarbeitet werden muss. Auf dieser Basis dann eine Verabschiedung zu fordern und die Verbesserungen einem unsicheren und weit in der Zukunft liegenden Evaluationsprozess zu überlassen, obwohl die Probleme bereits jetzt auf dem Tisch liegen ist, ist letztlich unverantwortlich – immerhin würde das Gesetz für lange Zeit gültig sein.
Am Ende kann also nur das Resultat stehen – wir müssen noch einmal dran, müssen Jugendschutz im Netz schaffen und nicht Symbolpolitik. Die fachliche Grundlage wurde bereits geschaffen, Experten hierzu stehen aufgeschreckt durch den aktuellen Entwurf bereit. Nur das Ziel des Durchpeitschens bis Jahresende wäre nicht mehr durchführbar. Aber wenn dies zu Jugendschutz im Netz statt zu Symbolpolitik führen würde wäre es das allemal wert.
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[…] JMStV-Entscheidung in NRW – die Anhörung (sectio aurea) – Gestern fand die Anhörung zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) im nordrhein-westfälischen Landtag statt. Weitere Berichte dazu u.a. beim AWO Projekt Jugendmedienschutz, dotcomblog, den Ruhrbaronen und netzpolitik.org. […]
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