Diesen Brief sende ich per Post mit kleinen Anpassungen an verschiedene Abgeordnete aller demokratischer Parteien in meiner Region. Zur Dokumentation und Inspiration für Dritte stelle ich ihn zudem hier in das Blog.
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Software-Entwickler und aktuell Gründer einer IT-lastigen GmbH bin ich direkt von der vorgeschlagenen EU-Urheberrechtsreform betroffen, weswegen ich Ihnen diesen Brief schreibe. Ich mache mir wirklich Sorgen um die Zukunft innovativer Unternehmen in diesem Land.
Kurz und knapp: Sollte der Artikel 13 in der nun vorgeschlagenen Form durchkommen, so würden die bekannten Monopolisten aus den USA massiv gefördert werden und europäische Unternehmen stark benachteiligt werden. Urheber werden dagegen nahezu nichts von dem Gesetz haben und z.T. benachteiligt werden. Das kann nicht in unserem Interesse sein, weswegen ich Sie bitte, die Reform abzulehnen.
Warum unterstützen wir mit Artikel 13 amerikanische Großkonzerne?
Dies klingt erst einmal absurd, da Artikel 13 doch maßgeblich von der Idee geleitet wurde, Urhebern dort Einnahmen zu ermöglichen, wo bislang ohne ihr Einverständnis ihre Werke hochgeladen wurden: auf den großen amerikanischen Plattformen wie z.B. YouTube. Soweit ein legitimes Interesse – nur wird Artikel 13 dieses Ziel nicht erreichen, sondern vielmehr das exakte Gegenteil. In Folge möchte ich erläutern warum.
Stellen wir uns vor, ein kleines oder mittelständisches Unternehmen wie das, was ich aktuell gründe, würde schon länger ein Online-Portal betreiben, auf welchem Nutzer Inhalte hochladen können. Das kann was ganz Einfaches sein, es muss sich ja nicht immer um Videos drehen: das könnte auch ein Fotografie-Forum, welches sich über Werbung finanziert, oder ein öffentliches soziales Netzwerk für ein Stadtviertel. All diese Plattformen fallen in die weit gefasste Definition im Gesetz hinein. Schauen wir uns nun an, was das kleine Unternehmen machen müsste.
Die Pflicht, Lizenzen zu kaufen
Als kleines Unternehmen müsste ich nach Artikel 13 Folgendes beachten:
(a) made best efforts to obtain an authorisation
Artikel 13 4(a)
Der normale Weg, eine Plattform legal zu betreiben, ist damit der Abschluss eines Generalvertrages mit einem Verwerter, welcher dann die Lizenzgebühren einsammelt. Was so naheliegend klingt, zerstört aber so ziemlich jedes Geschäftmodell mit Community-basierten Plattformen, da die Lizenzkosten weit über dem sind, was Plattformen pro Nutzer verdienen.
Die allermeisten Plattformen wollen keine geschützten Inhalte
Die allermeisten Plattformen wollen die urheberrechtlich geschützten Werke ja auch gar nicht haben, die Nutzer laden sie nur hoch – und mit Artikel 13 wäre das dann äquivalent dazu, dass der Betreiber die Werke selbst online gestellt hätte.
Um also eine Community-Website ohne Verluste betreiben zu können, braucht man einen Filter, um die Nutzer am Upload von urheberrechtlich geschütztem Material zu hindern. Das sind die vieldiskutierten Upload-Filter. Und das ist genau das, worin Google, Facebook und Co jetzt schon Marktführer sind, und viele kleinere Unternehmen und jeder europäische Newcomer das Nachsehen hätten.
Aber auch ganz ohne Filter wird es mit 4(a) kritisch: was glauben Sie mag die Verhandlungsmacht sein, die ich als kleine GmbH gegenüber den Rechteinhabern hätte? Wie fair mögen die Verträge sein, die ich bekomme, im Vergleich zu denen, die Google oder Facebook aushandeln können?
Zudem mal ganz in der Praxis: was sollte meinen Konkurrenten eigentlich davon abhalten, massiv urheberrechtlich geschützte Inhalte auf meine Plattform hochzuladen, um mich in den Ruin zu treiben, weil ich für jeden urheberrechtlich geschützten Nutzer-Upload zahlen muss?
Warum Filter-Technologie eine zwangsläufige Folge ist
Wir haben eben festgestellt: Filter sind notwendig, um urheberrechtlich geschütztes Material zu blocken, damit dieses nicht auf meine Plattform kommt und ich so keine Zahlungen an Verwerter nach Absatz 4 (a) tätigen muss. Die folgenden beiden Absätze sind aber genauso problematisch:
(b) made, in accordance with high industry standards of professional diligence, best efforts to ensure the unavailability of specific works and other subject matter for which the rightholders have provided the service providers with the relevant and necessary information
(c) acted expeditiously, upon receiving a sufficiently substantiated notice by the rightholders, to remove from their websites or to disable access to the notified works and subject matters, and made best efforts to prevent their future uploads in accordance with paragraph (b)
Artikel 13 4(b) und (c)
Ich als kleine GmbH muss also größte Mühen zeigen, urheberrechtlich geschützte Materialien zu löschen und ein zukünftige Uploads zu verhindern. Klingt erst einmal naheliegend, aber der Teufel steckt im Detail.
Denn einerseits fehlen mir die Kapazitäten, überhaupt die Ansprüche zu validieren. Die zentrale Frage ist aber: wie kann ich diese zukünftigen Uploads verhindern?
- Ein Mitarbeiter schaut sich alle von Nutzern hochgeladenen Inhalte manuell an.
- Ein spezielles Programm analysiert die Uploads der Nutzer. Ein derartiges Programm wäre dann ein automatischer Upload-Filter.
Mit Option 1 wäre das Geschäftsmodell einer jeden mir bekannten nutzergetriebenen Plattform beerdigt, da dies extreme Personalkosten nach sich ziehen würde. Es würde also zwangsweise zu Option 2 kommen: zu den Upload-Filtern.
Google ist Technologieführer bei Urheberrechts-Filtern
Es gibt eine Software auf dem Markt, die einigermaßen zuverlässig urheberrechtlich geschützte Werke erkennt und so 4 (c) erfüllen und die Folgekosten von 4(a) verhindern kann: das ist Googles Content ID. Ausgerechnet Google würde also ein Geschäftsmodell auf dem Silbertablett bekommen: ganz Europa bräuchte plötzlich Urheberrechts-Scanner- und -Filter, und Google ist in diesem Bereich mit großem Abstand technologischer Vorreiter.
Diese Vorreiter-Rolle macht ihnen auch niemand so schnell streitig: die Content ID hat ca. 60 Millionen Euro und viele Jahre Entwicklungszeit gekostet, eine Summe, die mein kleines Unternehmen und selbst weite Teile des Deutschen Mittelstandes niemals für diese Aufgabe aufbringen können werden.
Symbolpolitik statt Geld für Urheber
Die Urheber selbst werden dagegen weitestgehend leer ausgehen: Google, der Dienst, von dem sich die Verwerter den meisten Umsatz erhoffen, hat mit der ContentID die benötigte Filter-Technologie und setzt diese schon jetzt umfangreich ein. Google ist bestens auf das Gesetz vorbereitet. Wir, die kleinen und mittelständischen Unternehmen, sind es nicht. Beim Mittelstand gibt es den erwarteten Geldregen auch nicht zu holen, also stehen am Ende alle mit leeren Händen da.
Schlimmer noch: mit dem Gesetz würden die US-Monopolisten auch noch gefördert werden, weil aktiv die Entwicklung von Alternativen unterbunden wird. Neue Verwertungsmöglichkeiten wie z.B. die von Künstlern gerne genutzte Plattform Pateron würden hätten kaum eine Chance mehr. Urheber und Verwerter schießen sich mit Artikel 13 ein Eigentor, da sich in Zukunft noch mehr Verhandlungsmacht auf noch weniger Unternehmen konzentrieren würde. Jobs und Investitionen in Europa wären in Gefahr.
Ich halte es zudem auch für hochgradig fragwürdig, wenn eine Infrastruktur installiert wird, in der automatisierte Inhalte-Scanner über die Verbreitung von Inhalten entscheiden können. Diese Infrastruktur in falschen Händen kann in der Zukunft großen Schaden an unserer Demokratie erzeugen.
Nur mit einer Ablehnung von Artikel 13 kann Europa wettbewerbsfähig bleiben
Aber die Probleme mit Artikel 13 beginnen nicht erst in ferner Zukunft, sondern im hier und jetzt. Genau jetzt würde die Innovationsfähigkeit von Europa umfassend eingeschränkt werden. Genau jetzt würden kleine Unternehmen wie meines massiv benachteiligt werden. Genau jetzt würde Google durch seine Verhandlungsmacht und seine gute Filter-Technologie noch mächtiger werden. Genau jetzt würden die Urheber bis auf salbungsvolle Worte nichts bekommen. Und deswegen müssen wir genau jetzt dieses Gesetz verhindern.
In politischen Reden wird immer wieder auf die Notwendigkeit von europäischen Alternativen zu Google, Facebook und Co verwiesen. Ich als kleines Unternehmen mit vielen Ideen würde gerne daran mitarbeiten. Aber das kann ich nur, das kann die europäische IT-Industrie nur, wenn Sie uns nicht diesen riesigen Felsbrocken in den Weg legen. Bitte entscheiden Sie sich gegen dieses Gesetz.
Ich stehe Ihnen natürlich gerne für Fragen und Anmerkungen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
Ernesto Ruge
PS: im Übrigen habe ich durchaus Ideen, wie man diese für alle unglückliche Situation lösen könnte. Weder die IT-Industrie noch die Urheber sind glücklich mit der aktuellen Situation, und der neue Artikel 13 würde es nur noch weiter verschlimmern. Was aus meiner Sicht offensichtlich fehlt ist eine Art offene und transparente ContentID, ein Mechanismus, wo sich jeder Urheber oder Verwerter mit technischen Charakteristika aller seiner Werke eintragen könnte und gegen den jeder Plattformbetreiber die von Nutzern hochgeladenen Medien testen könnte.
Gäbe es eine solche Plattform, so könnte jeder Plattformbetreiber aktiv entscheiden, ob er urheberrechtliches Material annehmen will und wenn ja, zu welchen Konditionen. Und Urheber hätten endlich die Gewissheit, dass europaweit die Urheberschaft glasklar ist – selbst dann, wenn er sich nicht von den großen Verwertern vertreten lässt. Eine offene und transparente ContentID wäre elementare gesellschaftliche Infrastruktur, um Urheberrecht im digitalen Zeitalter endlich grundlegend anzugehen. Der aktuell vorgeschlagene Artikel 13 dagegen versucht, urheberrechtliche Leitlinien aus den Achtzigern ins heute zu pressen. Und das geht schief. Für alle.
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