Eine kritische Betrachtung der angestrebte Verfassungsänderung zur Einführung der 3% – Hürde in den Kommunalvertretungen – ein Gastbeitrag von Martin Petermann, welchen ich inhaltlich unterstütze.
Schon seit längerer Zeitklagen vor allem KommunalpolitikerInnen der größeren Städte über eine zu große Anzahl von kleinen Listen und Parteien mit nur ein oder zwei Sitzen in den Kommunalvertretungen. Die Funktionsfähigkeit würde erheblich beeinträchtigt, da die Bildung von Mehrheiten schwieriger sei und Sitzungen länger dauerten. Vielfach stößt aber auch übel auf, das kleine rechte bis rechtsradikale Parteien ein Forum in der Kommunalpolitik erhalten.
Es wurden bereits in den Vergangenheit Anstrengungen unternommen den Einzug von kleineren Parteien und Listen in die Kommunalvertretungen durch neue Prozenthürden oder eine Mindestzahl an Stimmen für den ersten Ratssitz zu verhindern. Eine durch den NRW – Landtag beschlossene Ein-Sitz-Sperrklausel wurde 2008 allerdings vom Landesverfassungsgericht für ungültig erklärt:
„Der Landtag habe nicht hinreichend deutlich gemacht, dass die „Sperrklausel“ in § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen notwendig sei.“ (VerfGH 12/08)
Bei Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen ist laut Gericht durchaus eine Sperrklausel zulässig. Der Gesetzgeber konnte diese Beeinträchtigung jedoch nicht hinreichend belegen.
Neue Initiative droht ebenfalls vor dem Verfassungsgericht zu scheitern
In einem erneuten Anlauf soll jetzt auf Initiative der SPD in der Landesverfassung eine kommunale 3% – Hürde verankert werden. Dadurch soll die bisherige Rechtsprechung des NRW – Verfassungsgerichtshofes umgangen werden. Gegen diese Verfassungsänderung würde sicherlich vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt werden. Der Ausgang dieser Klage wäre offen.
Laut der aktuellen Rechtsprechung ist das möglichst reibungslose Funktionieren der Kommunalvertretungen abzuwägen gegen das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an der Wirksamkeit ihrer abgegebenen Stimme. In Bochum wären bei einer Drei Prozent – Hürde bei der letzten Kommunalwahl 13,2 % der gültigen Stimmen oder 18499 Bürgerinnen und Bürger nicht durch eine Partei oder Liste im Stadtrat vertreten gewesen.
Drei Prozent Hürde bekämpft Auswirkungen statt Ursachen
Vor der Beschneidung des Wahlrechts durch die Einführung einer 3% – Hürde sollten alle anderen Mittel ausgeschöpft oder nach demokratisch verträglicheren Alternativen gesucht werden, so z.B.:
- Straffung von Ratssitzungen durch Änderungen der Geschäftsordnungen (zeitliche Begrenzung Rederecht u.ä.)
- Verringerung der Anzahl der Wahlkreise: Durch einen Abbau von Überhangmandaten steigt die notwendige Stimmenanzahl für den ersten Sitz
- Initiativen zur Steigerung der Wahlbeteiligung: kleinere Parteien haben es dann wesentlich schwerer Bedeutung zu erlangen. Die Wahlbeteiligung in Bochum erreichte 2014 mit 48,5% einen absoluten Tiefpunkt. Hier sollten sich alle Parteien überlegen, wo sie Fehler machen und gemacht haben. Auch eine Ausweitung der politischen Bildung an den Schulen wäre hilfreich. Die Skepsis gegenüber der (Kommunal-)politik resultiert vielfach aus Unkenntnis.
Die Parteien, die jetzt die Einführung einer 3% – Hürde vorantreiben, sollten sich auch überlegen, warum so viele kleine Parteien und Listen so viele Bürgerinnen und Bürger von sich überzeugen können. Vor allem die Integrationskraft von SPD und CDU scheint ständig abzunehmen. Unter diesen Umständen fühlen sich tausende Menschen nicht mehr ausreichend vertreten und wenden sich v.a. Listen und Parteien von kommunaler Bedeutung zu. Diese Menschen haben, auch wenn man ihre Einschätzung nicht teilt, einen Anspruch darauf in den kommunalen Gremien vertreten zu sein.
Auch an den Erfolgen rechtsradikaler Parteien ist nicht das Wahlrecht schuld. Hier würde ein Symptom bekämpft, nicht die Ursache.
Drei Prozent Hürde unterstützt Politikverdrossenheit
Parteien, die eine Drei Prozent – Hürde unterstützen, sollten sich auch vor Augen halten, welchen fatalen Eindruck dies auf Bürgerinnen und Bürger machen könnte. Diese könnten den Eindruck haben, dass sich Parteien mit bröckelnder Zustimmung missliebige Konkurrenz vom Halse schaffen wollen, um ihren Einfluss in den Kommunalvertretungen zu behalten.
Selbst wenn man es als gegeben sieht, dass zur Bewahrung der Funktionsfähigkeit von Kommunalvertretungen Gruppen und EinzelvertreterInnen ausgegrenzt werden müssen, so ist es nicht richtig den bequemsten Weg zu wählen. Die beabsichtigte 3% – Hürde stellt annähernd einen früheren Zustand wieder her. Es ist nicht zu viel verlangt, dass sich die Parteien ein paar mehr Gedanken machen, wie der politische Wille des Wahlvolkes optimal umgesetzt werden kann.
Lieber Martin,
Du sprichst mir aus dem Herzen. Eine Verfassungsänderung kann nur die ultima ratio sein und niemand hat je behauptet, dass Demokratie bequem und schnell sein muss. Für mich ist der verfassungsrechtlich gebotene Nachweis bei weitem nicht erbracht, dass in der Mehrheit der NRW-Kommunen oder einer signifikanten Minderheit der Kommunen, die Arbeitsfähigkeit der kommunalen Parlamente akut und erheblich beeinträchtigt ist und die durch eine Sperrklausel verursachten negativen Effekte (Mangel an Gleichheit der Wahl, Wegfall vieler Stimmen etc.) in der Gesamtheit der Kommunen weniger stark sind.
Für die Grünen ist das m.E. ein Lose-Lose-Thema. Und Karlsruhe wird vermutlich einschreiten, bevor eine solche Klausel 2020 erstmals zum Tragen käme.
Vor allem aber müssen Themen dieser Tragweite gründlich diskutiert werden, innerhalb der Grünen und öffentlich. Ich freue mich sehr, dass der KV Bochum an dieser Stelle aktiv geworden ist und bin gespannt auf die Diskussionen auf dem LPR am 7.12.!