Feminismus und Nerds. Das konnte ja nur schiefgehen. Meint man. Nun, irgendwas lief auf dem 29c3 auch wirklich schief. Aber fehlender Feminismus – das war nur ein kleiner Teil der Probleme.
Aber bevor ich von den Problemen spreche: die Konferenz war super. Ich hätte nie gedacht, dass eine ehrenamtlich organisierte Konferenz derart reibungslos über die Bühne gehen kann. Dafür ein herzliches Dankeschön, und ebenfalls vielen Dank für die vielen tollen neuen Kontakte, welche ich auf der Konferenz gewinnen durfte. Es gibt wenig Orte, wo so viele Menschen mit so viel Leuchten in den Augen zu finden sind. Wo Menschen trotz (oder vielleicht grade wegen) ihrer zum Teil offensichtlichen sozialen Inkompatibilität noch so viel träumen, so ungeschliffen, so kreativ und so intelligent sind. Danke!
Klarstellung: Meine Perspektive
Feminismus ist mir nicht fremd. Als in einer grünen Umgebung aktiver Mensch mit vielen Kontakten zu anderen Parteien und einer Vorliebe für überparteiliche Arbeit sind mir viele Gender-Themen recht gut bekannt. Nicht so bekannt war mir der 29c3, das war mein erstes Jahr dort. Ich habe eine recht nerdige Vergangenheit, bin kein Hacker und spiele mittlerweile ein bisschen weiträumiger abseits klassicher Nerd-Themen herum. Einerseits ermöglicht mir das natürlich keine historische Betrachtung des 29c3, andererseits dürfte ich dadurch einen Blick von außen / oben haben. Und dabei fällt das eine oder andere auf.
Viel Respekt
Für einen Neuen war dies faszinierend zu beobachten. Denn im Endeffekt war ein Widerspruch zu beobachten. Einerseits hatten viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer sichtlich nicht das Interesse und oft auch nicht die Sozialkompetenz, um wirklich emotional zu verstehen, was die jeweils anderen Personen treibt. Trotzdem wurde eine unheimliche Bandbreite von verschiedenen Lebensstile völlig problemlos akzeptiert. Mehr noch: respektiert. Was phänomenal für eine Konferenz dieser Größe ist – auf Veranstaltungen im Bereich der Autoindustrie wo ich ab und an teilnehme ist man z.B. viel schneller unten durch. Von Discos gar nicht erst zu reden. Möglich machte dies vielleicht grade die Tatsache, dass viele Menschen Dinge einfach laufen liessen und soziale Phänomene gar nicht verstehen wollten weil sie das wichtige – die Inhalte – störten. Was ok ist. Dies war aber auch gleichzeitig die Basis für Einzelne, welche diese Freiheit negativ ausgenutzt haben.
Auf Freiheit folgt Flamewar
Wo die moderate gutgläubige Mehrheit schweigt, bekommen Radikale eine laute Stimme. Das war bei dem Hacker-Jeopardy sehr deutlich zu bemerken. Es war ein wildes argumentationsloses Geprügel, denn für respektlose Sprüche (dessen Anti-Feministische Bedeutung nur eine von vielen Folgerungen sein konnten) sind rote Creeper-Move-Karten als Reaktion genauso maßlos übertrieben wie Sprüche über Feminazis. Auf beiden Seiten fühlten sich Menschen emotional verletzt und schlugen wild um sich – und es gab nur wenige, die versucht haben, die Wogen zu glätten – der Rest begriff nicht was da abgeht und / oder resignierte. Ich selbst gehörte auch zu der Mehrheit. Was vielleicht ein Fehler war. Aber wenn eine Situation erst einmal so eskaliert ist gibt es kaum etwas, was das Desaster noch stoppen kann. Die Inhalte – in diesem Fall Feminismus – sind bei einer solchen Eskalation am Ende dabei nur ein Randthema.
Creeper Move Cards – gute Idee, schlechte Umsetzung
Diese Karten sollten die Möglichkeit geben, bei unangemessenem wie sehr angemessenem Verhalten eine wortlose Rückmeldung zu geben. Wortlos, weil man z.B. zu verletzt ist, um dies auszudiskutieren. Doch so gut gemeint die Absicht hinter den Karten auch war, so sehr ging die Durchführung in die Hose. Die Karten wurden inflationär eingesetzt. Nur wenige wussten überhaupt darüber Bescheid, eine Anleitung fehlte weitestgehend. Es wurde wegen Trivialitäten mit roten Karten um sich geschmissen (es gab wohl maximal einen Fall, wo eine rote Karte den Erfindern des Systems zufolge gerechtfertigt war – der Letzte in der Liste – siehe auch). Die Herausgabestelle Flauscheria hatte selbst Zieldefinitionsprobleme (s.u.). Das System funktioniert auf der Def Con gut, aber vor allem deshalb, weil die Orga der Def Con dahintersteht und die nötigen Infos sowie die nötige Gleichverteilung bereitgestellt hat. Auf der OpenMind hat man dies kopiert und die Karten funktionierten recht gut. Auf dem 29c3 dagegen haben sie dem Ziel von mehr Respekt eher geschadet denn genützt – wenn man einmal so ein Kartensystem der Lächerlichkeit preisgegeben hat ist die Idee schwer wieder ins Positive zu drehen. Denn so blöd die Aktion mit der nackten (roten!) Creeper-Card-Frau zunächst wirkt, so sehr hat sie auf den Punkt gebracht, als wie unsinnig die Karten nach aussen wirkten (was auch die Intention der Erschafferin war).
Die Flauscheria – eine Gruppe mit Zielkonflikten
Die Creeper Move Cards waren exemplarisch für die Flauscheria – sehr viel guter Wille, super-tolle Menschen, aber eher verzweifelte denn souveräne Umsetzung ihrer Ideen. Ich war dort lose angegliedert und kannte viele Flauscheria-Mitglieder bislang nur via Twitter, und letztlich habe ich dort eine Gruppe von zum Teil sehr sehr sensiblen Menschen erlebt. Zum Teil Menschen, die verschiedenste Probleme mit der Welt „da draußen“ hatten und sehr verletzbar waren. Die Idee der Creeper Move Cards war also in weiteren Teilen (wie ich finde berechtigtes) Eigeninteresse. Genauso wie es die Forderung nach Rückzugräumen war. Aber genau das hat die Position der Flauscheria so schwierig gemacht, sie waren gleichzeitig Betroffene und neutrale Anbieter verschiedener Lösungsvorschläge der Deeskalation für sensible Menschen. Diesen Zielkonflikt aufzulösen war meiner Meinung nach unmöglich, die beiden Ideen – Respekt und echte Rückzugräume – sollten aber noch mehr beachtet werden, um emotional sehr sensiblen Menschen das Leben zu vereinfachen. Obwohl ich den 29c3 was den Respekt angeht bereits für sehr weit positiv fortgeschritten halte wie oben beschrieben, aber es gibt immer Raum für Verbesserung.
Idee: Rückzugräume für alle
Die andere Idee der Flauscheria ist bei all der Diskussion leider allzu sehr untergegangen: Rückzugräume für Menschen, die nicht durchgängig so viel Menschen um sich herum haben können. Das 29c3 war extrem offen, es waren offene Räume mit offenen Tischen, und jeder konnte fast überall hin. Vielleicht wäre als Ergänzung des Kongresses eine Art Silent Privacy Area mit vielen Sichtschutzwänden und viel privatem Raum sinnvoll, um ein neutrales Gebiet zu schaffen, bei dem man auch mal in kleinen Gruppen oder eben ganz alleine sein kann. Aber dies müsste dann von der Orga aus kommen – und eben nicht von einer kleinen Initiative, die mit „Rückzugsgebiet“ vor allem „Rückzugsgebiet für sich selbst“ meint.
Feminismus und Nerds: Sprachschwierigkeiten
Am Rande des ganzen Streites kam auch noch etwas ganz anderes zu Tage: der Feminismus und Informatik-Vortrag hat gezeigt, wie weit weg einzelne Fachszenen von dem Mainstream sind. Ich habe dort selbst mit meinem Vorwissen als Grüner echte Schwierigkeiten gehabt, dem Fachwort-Staccato zu folgen. Vielen in dem Vortrag dürfte es noch weit schlimmer ergangen sein, ohne die Grünen hätte ich die Fachworte auch nirgends kennengelernt. Im Anschluss habe ich das Experiment gemacht, wie es wohl ist ohne spezifische Nerdsprachenkenntnisse die Konferenz anzuschauen. Beim Durchwandern der Gänge und Projekte wurde mir eins sehr bewusst: ein der Szene Fremder wäre hoffnungslos verloren gewesen, genauso wie die Zuschauer des Gender und Informatik Vortrages verloren gewesen sind. Das durchzog alle Bereiche, und dabei ist mir aufgefallen, dass auch ich selbst mit durchaus ein wenig Nerdsprachwissen bei vielen Anspielungen schlichtweg keine Ahnung hatte, was diese wohl bedeuten mögen. Insider sind cool. Ja. Aber hin und wieder täte es wohl gut zu schauen, ob man nicht doch eine weniger volle und dafür verständlichere Sprache wählen sollte – denn mit dem Wechsel auf eine neue Location gab es viele neue Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Und so schön der Kongress auch war, so war er auch ein wenig fremd für mich – bis zum Ende.
Mehr Willkommenskultur, weniger Streit!
Ich bin nicht als CCC Nerd sozialisiert worden. Und dieses Fremde – es hat die Fähigkeit, persönliches Verhalten zu berühren und zu reflektieren. Das ist zunächst einmal sehr gut. Aber es kann auch als Angriff wirken. Denn klar, die Verhaltensweisen sind von einer vor allem männlichen Gruppe geschaffen worden, und das Thema ist nicht neu – wie die Aschenbrennerin treffend schreibt, gibt es die Haecksen nicht ohne Grund. Aber vielleicht sollten wir weniger über agressive Antifeministen reden. Davon gab es auf dem 29c3 kaum welche. Die meisten Vorfälle waren mehr ein Versehen aus dem bestehenden kulturellen Kontext heraus, die es ruhig anzusprechen gilt, aber es bringt keiner Seite etwas, dies gnadenlos zu eskalieren.
Ja – vielleicht sollten wir mehr über Offenheit gegenüber anderen sozialen Gruppen und Willkommenskultur reden. Denn nur so können wir andere Menschen für Hackerkultur begeistern und eine Atmosphäre schaffen, bei der sich noch mehr als jetzt alle willkommen heissen.
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